
… so kann sie was erzählen. Wir haben es getan. Eine Städtereise mit drei Kindern.
Gebucht hatten wir den Trip schon kurz nach Weihnachten. Ich weiß noch genau, wie ich abends nach einem langen Tag lethargisch auf dem Sofa rumhing. Der Mann recherchierte ambitioniert und stellte immer wieder diverse Fragen. Hinsichtlich Stadt, Land, Fahrt, Unterkunft und überhaupt. Ich hörte nur halb hin. Man(n) hätte mir ein lebenslanges Heizdecken-Abo verkaufen können. Mit mindestens einer Körperhälfte befand ich mich schon im Tiefschlaf und quittierte alles nur noch mit einem „Mmmhhh“, „Oooookey“, „Jaaa“…
So wurde es mir später zugetragen.
Schlaftrunken (also ich) haben wir dann folgendes gebucht: Eine Verdammt-früher-Vogel-Zugfahrt nach Berlin, drei Übernachtungen in einer Jugendherberge und den Mitternachtsexpress back home to Munich. Eine Woche vorher bekam ich Muffensausen. Wer um alles in der Welt fährt über Ostern mit unendlich vielen Kindern in eine fremde Stadt?! In eine ziemlich große fremde Stadt?! Zu Uhrzeiten, bei denen beim Nachwuchs nicht unbedingt allerbeste Laune zu erwarten ist?! Wenn man doch ganz gemütlich in irgendeinem verwandtschaftlichen Garten abhängen und die Kinder mit diversen Omas und Opas Eiersuchen lassen könnte? Während Mutter selbst über Stunden hinweg mit nur halbgeöffneten Augen auf einer Gartenliege Präsenz zeigen, Bräune sammeln und diese anrüchige Sache mit drei Buchstaben machen könnte: NIX…!!
Heimlich hatte ich natürlich schon längst die Stornokosten gecheckt. Na bravo. Aus der Nummer kamen wir nicht mehr heile raus. Jetzt half es wohl nur noch, die metropolitan-ste Seite in mir zu entdecken. Und wer muss schon schlafen?! Kurzfristig kam mir der Jüngste zur Hilfe mit einem wirklich starken Infekt. Der uns schon mit einem Fuß im Krankenhaus hat stehen lassen. Wahrscheinlich konnte er mein Genörgel über den Un- und Wahnsinn dieser Reise einfach nicht mehr hören. Am Tag vor der Abfahrt gab es dann aber das Go vom Kinderarzt. Es hieß also:
Berlin Berlin, wir fahren nach Berlin!
Die Kinder freuten sich wie Schnitzel. Wir hätten ihnen aber auch sagen können, dass wir nach Bottrop, Bielefeld oder Boms fahren. In voller Vorfreude packten sie ihre Rucksäcke. Die ich dann abends heimlich wieder von riesigen Spielzeug-Tiefladern und zwei Kilo Puppenkleidung befreite. Um keine größeren Wutanfälle im Zug zu riskieren, bekam jeder ein altersgerechtes Rätselheft, neue Stifte und favorisierten Süßkram in den Rucksack.

Und aufgrund des noch ziemlich angeschlagenen Minis wurde zum Inhaliergerät auch noch ein Medikamentennotfallkörbchen eingepackt. Was soll der Geiz. Mutter hatte alles wirklich wahnsinnig gut geplant. Noch bei Dunkelheit verließen wir mit drei gutgelaunten Kindern, einem riesigen Koffer, diversen Rücksäcken und einem Inhalator das Haus. Auf ging’s zum Hauptbahnhof. Hach, war das entspannt. Warum hatte ich mir nur solche Sorgen gemacht?! Wenn einer das rockt, dann doch bitte wir. Das war mal wieder so ein glitzernder Bilderbuchfamilienmoment. Kennen Sie die auch? Wenn man sich fröhlich stolz umschaut und hofft, dass ganz viele Menschen diese wunderbare Familie hier sehen. Schaut her, was wir für coole Eltern sind. Und was für bezaubernde Kinder wir haben. Leider waren noch nicht allzu viele potentielle Zuschauer auf den Beinen, die diesem wunderbaren Spektakel beiwohnen konnten. Völlig euphorisch berichteten wir noch im Bus zum Startbahnhof von den ganzen Dingen, die wir in Berlin erleben würden. Erklärten dem Dreijährigen höchst motiviert, was die Mauer war und sprachen mit der Siebenjährigen über die pluralistische Demokratie Deutschlands. Den Einjährigen ließen wir hier bildungstechnisch mal noch außen vor. Das könnten wir dann vor Ort nachholen. Die Stimmung war einfach ein Traum. Wenn eine Bilderbuchfamilie auf Reisen geht. Was für ein idyllischer Anblick.
Soweit so gut. Die Idylle hielt an bis…
…der Mittlere dann nicht der ERSTE war, der in den Zug stieg. Und die Große nicht die ERSTE war, die auf ihrem Sitz saß. Und der Kleine nicht als ERSTES den attraktiven Tischmülleimer entleeren durfte. Mit dem Mund.
Wenn ich für unsere Reise ein Unwort bestimmen müsste, dann wäre das definitiv „Erster!“ Sie wissen schon. Zusammen mit dieser Gewinnerhaltung, die nur Kinder haben können. Dieser Tonfall, der das Geschwisterkind an den Rand des Wahnsinns bringt. Und noch weit darüber hinaus.
Dennoch war die Fahrt mehr als ok. Vermutlich haben die Kinder noch nie so viele ungesunde Dinge innerhalb von viereinhalb Stunden zu sich genommen. Dafür rätselten sie beide mindestens eine halbe Stunde altersgerecht vor sich hin. Die verbleibende Zeit haben sie friedlich gemalt oder wurden akustisch mit Biene Maja (die freche, starke und mutige aus den 70ern) feministisch aufgeklärt. Alles wunderbar. Der Jüngste konnte dank Kinderabteil direkt bei uns seinen vorgezogenen Mittagsschlaf halten und wir Eltern tranken tatsächlich Kaffee. In Ruhe. Kaum zu glauben. Vielleicht beschönige ich es aber auch ein wenig (eine halbe Woche später). Wer weiß das schon.
Gegen Mittag kamen wir an der Jugendherberge an. Das war für mich übrigens das ERSTE Mal seit der Klassenfahrt in der 7d. Vor 25 Jahren. Aber außer der Tatsache, dass wir selbst unsere Betten beziehen mussten, hatte das nicht mehr allzu viel zu tun mit meinem früheren Bild einer Juhe. Was ich an dieser Stelle und mit fortgeschrittenem Alter jetzt durchaus als positiv werte. Wir hatten ein sehr modernes, sauberes Familienzimmer mit eigenem Bad. Die Kinder waren begeistert. Also kurz nach dem 140-Dezibel-Streit, wer als ERSTER die Zimmertüre mit der Schlüsselkarte öffnen durfte. Fortan führten wir eine Strichliste, wer wann als ERSTER berechtigt war aufzuschließen. An all die Kinderlosen: Ja, wir machten das tatsächlich. Ziemlich krass, oder?

Unser Blick vom Zimmer: Die Gleise vom Bahnhof Ostkreuz. Ich bin allerdings schon lange genug Mutter, um diese Tatsache zu feiern. Denn von den Kinderstockbetten hatte man einen phänomenal guten Ausblick auf all die ICEs, ICs und Regionalbahnen. Die so ca. alle zweieinhalb Minuten einfuhren, hielten, abfuhren. Das hieß schon mal per se alle zweieinhalb Minuten kostenloses Entertainment. Was will Mutter mehr?! Ursprünglich dachte ich, dieser Begeisterungssturm würde sich möglicherweise legen. Dem war aber nicht so. Denn es wären nicht unsere Kinder, wenn sie daraus keine Challenge machen könnten. „ICH HAB DEN ICE ZUERST GESEHEN! NEIN, ICH!! NEIN, ICH, DU BLÖDKOPFKUH!“
Nachts hat das Einfahren, Halten und Abfahren übrigens überhaupt nicht gestört. In Berlin scheinen die Züge zu schleichen wie die Katzen. Oder es kommen einfach so viele, dass es nur noch als leises Hintergrundrauschen wahrnehmbar ist. Man konnte durchaus auch ein bisschen Meeresrauschen reininterpretieren. Mit ein wenig Phantasie.
Fast wäre richtige Urlaubsentspannung eingekehrt.
Bis Mutter diese verdächtigen roten Backen bei der Großen sah. Diese plötzliche Stille. Der fehlende Appetit. Dieser Moment als sie den kleinen Bruder freiweillig als ERSTES in den Aufzug steigen ließ. Es wäre ja auch zu schön gewesen…
Fieber, Kopfweh, starker Husten. Nach dem Kleinsten jetzt auch die Große.
Ein Hoch auf unser buntes Osterkörbchen! Wer braucht schon Schokolade zum Frühstück…
So hangelten wir uns also über die Osterfeiertage von langen Ruhepausen im Zimmer über den Jugendherbergsspielplatz bis hin zu ein paar wenigen Must-sees in Berlin. Der Jüngste war nur noch in der Trage, die Große konnte im Kinderwagen reingekauert zumindest ein wenig entspannen. Der Mittlere musste laufen. Was natürlich prima funktionierte. Also gar nicht. Er war zumeist auf den väterlichen Schultern. So durchwanderten wir Berlin, sagten krankheitsbedingt Treffen mit Freunden ab und hatten rotierend immer mal wieder schlechte Laune. Bei fünf Menschen also nicht gar so selten. Glücklicherweise beschönigt das menschliche Hirn im Nachhinein ja so einiges. Denn ich war mitunter echt genervt von diesen scheiss beschissenen Viren. Können die uns nicht wenigstens mal an vier Tagen Familienurlaub in Ruhe lassen?! Gerne wäre ich die liebevoll Ruhe bewahrende Mama gewesen. Die aus jeder Scheiße Gold macht. Und jeden Hustenfanfall und die schlechte Laune meiner Kinder (zum Teil sicher krankheitsbedingt) mit einer „Es könnte noch viel schlimmer sein, Schätzelein“-Haltung begrüßt.
Ich bin leider mehr so das Rumpelstilzchen.
Wir hatten trotzdem Spaß. Gut, das sage ich jetzt während ich wieder daheim in München alleine im Café sitze. Einen Latte Macchiato vor mir. Der Mann daheim bei den Kindern.
Aber hey, es war schon ein Erlebnis. Ich habe seit langem mal wieder Hütchenspieler gesehen. Wir waren Zeugen als zwei junge Frauen Handschellen angelegt bekamen. Und anschließend ebenfalls Zeugen eines unglaublichen Zornanfalls von Kind Nr. 2, weil wir diesem Spektakel nicht in erster Reihe beiwohnen wollten. Er aber schon.
Überrascht war ich auch über die Gelassenheit der Berliner. Beispiel: Rolltreppen. Während meine Kinder daheim mittlerweile schon wie kleine Soldaten parieren und sich unverzüglich ganz rechts aufstellen, um geschäftige Geschäftsleute oder rasende Rentner durchzulassen, scheint es in der Hauptstadt irgendwie entspannter zuzugehen. Sehr angenehm!
Wie haben leckere Currywürste gegessen, super schöne Parks gesehen und Unmengen an Klos besucht. Denn einer muss ja eigentlich immer. Als ich mit dem Mittleren mal wieder irgendwo auf einer öffentlichen Toilette eine längere Sitzung hatte, mit meinen Armen den Hocker für die Kindesbeine simulierend, konnten wir endlich mal in aller Ruhe über Feuerquallen sinnieren. Im Alltag kommt man dazu ja selten. Und den neuesten Fritzchenwitz habe ich bei dieser Gelegenheit auch noch erfahren. Also den mit der Bananenschale und der Oma. Sie wissen schon. Es mag etwas irre klingen, aber das war wirklich ein ziemlich perfekter Moment. Gut, zumindest bis zu dem Zeitpunkt als der Sohn sich noch näher zu mir beugte und mir verschwörerisch zuflüsterte, dass er wisse, wie man diese Striche auf meiner Stirn nannte. Für einen Moment versuchte ich mit meinem Ärmel mögliche Dreckspuren zu entfernen.
„Falten heißen die, Mama, Falten! Die gehen nicht weg!“
Kindermund tut Wahrheit kund. Verdammte Axt, Dreijährige können so grausam sein.

Zusammenfassung unserer Reise: Der Mittlere hat es vor Ort eigentlich ganz gut in seinen Worten ausgedrückt.
Tochter: „Warum heißt der eigentlich Friedensengel?“
Sohn: „Weil der Z-U-F-R-I-E-D-E-N ist! Ist doch klaro!“ Klingt plausibel. Familienfrieden ist, wenn alle zufrieden sind. Nicht immer leicht bei fünf Personen. Aber es gab ein paar kleine Momente. Und hey… in diesen Momenten sind wir einfach die perfekte Familie. Glücklich, cool, witzig. Mit ganz viel Sonne im Herzen. Und die blöden Zeiten, die an manchen Tagen auch gerne mal weit überwiegen, dürfen ohne schlechtes Gewissen großzügig ausgeblendet werden. Im Nachhinein liebe ich auch unsere Selfies vor dem Brandenburger Tor, Reichstag, Schloss Bellevue… Irgendeiner plärrt, schimpft, zwickt, beißt immer. Kind oder Eltern. Ok, gebissen habe ich nicht, ich schwör’s. Im Nachhinein ist das ziemlich lustig anzusehen. Dagegen können diese perfekten Insta-Bilder einfach abkacken. Wobei ich immer noch nicht verstehe, wie Eltern (von Kindern) es schaffen, so schöne Bilder zu knipsen. Darauf bin ich schon ein wenig neidisch. Manchmal. Denn würde ich Fotobücher machen, dann kämen die bestimmt rein.
Städtetrip mit Kindern. Würde ich es wieder tun? Ja. Auf jeden Fall! Es war trotz aller Widrigkeiten ziemlich cool! Es gab Gute Zeiten, Schlechte Zeiten. Allerdings würde ich künftig als Reisevorbereitungsmaßnahme beim Kultusministerium eine vierwöchige Freistellung des Schuldkinds erwirken. Und die Kleinen mindestens genauso lang von allen Kindern, Tieren und Objekten fernhalten. Nur zur Sicherheit.

Ich lache schon wieder Tränen!!! Einfach zu gut! Aber irgendwie hätte ich jetzt echt Bock auf einen Städtetrip mit Kindern!
Ach ja, und zu dem Thema „Striche auf der Stirn“….das gleiche hatten wir hier auch! Die Ältere sagt:“ wir haben ja die gleiche Stirn Mama,aber diese komischen Striche….die hab ich nicht!“ Na vielen Dank auch!!!
Ihr müsst unbedingt fahren!! Je mehr Tage verstreichen, desto lustiger und entspannter war es sogar! 😉 Und schön, dass ihr das Stirnstrichthema auch hattet. Das lässt mich gleich schon ein wenig besser fühlen.