
Mittlerweile sind wir alle wieder ein Stück weit zur Normalität übergegangen. Der langersehnte Alltag ist zum Greifen nah. Ein klein wenig anders als vorher, ab und an sicher etwas komplizierter und weniger spontan, aber im Großen und Ganzen okay. Freunde treffen, mit den Kindern ins Freibad gehen und in Ruhe von zu Hause aus arbeiten, solange die Kinder in der Betreuung sind. Ähm, also wenn sie in der Betreuung sind. Wenn keines der Kinder über der Oberlippe verdächtigt glänzt. Oder eineinhalb Mal gehustet hat. Bedauerlicherweise aber auch, weil der Regelbetrieb an den Schulen eben immer noch stark eingeschränkt war die letzten Wochen.
Ich muss gestehen, dieser neue Alltag zu Hause mit dem männlichen Heimbürokratiker an meiner Seite hat nicht nur schlechte Seiten. Sagen auch die Kinder. Denn plötzlich finden sich morgens in den nachhaltigen Edelstahlboxen mit optimistischen Obst-Trennwänden schlicht und einfach: Marmeladetoasts. Es darf sogar in allen drei Ecken körnerloses Weißbrot drinstecken. Ohne auch nur im Entferntesten von vitaminreicher Kost umgeben zu sein. Ebenso feiere ich die Tatsache, dass jetzt auch der Papa die morgens extrem motivierte Meute in den Kindergarten und die Krippe bringen kann.
Was ich aber definitiv nicht feiere (trotzdem laut darüber grölen könnte) ist diese imposante Rückwärtsrolle, mit der ich irgendwie zurück in die 50er Jahren gekugelt bin. Es fühlte sich ein bisschen so an wie früher bei den Bundesjugendspielen. Man konnte die Rolle Rückwärts nicht besonders gut, schön sah es auch nicht aus und beim Aufstehen wurde einem schwindelig. Während mein Mann nach Verkündung des Lockdowns mit einer gekonnten Flugrolle nach vorne preschte und sie mit Bravour stand. Im heimischen Arbeitszimmer von einer Telko in die nächste sprang und zwischendurch auch noch ein bisschen der Partnerin half aka Mutter der gemeinsamen Kinder. Applaus von allen Seiten. „Sei doch froh, dass dein Mann im Home-Office ist.“ Ich gestehe, das löst noch immer starke Emotionen in mir aus.
Ich bin wütend.
Eigentlich war ich selten so wütend wie in dieser Corona-Zeit. Das Wort Corona ist sozusagen mein neues Dinkel in der Müttermafia-WhatsApp-Gruppe. Mein neues Durchschlafen. Mein neues Windelfrei. Und damit meine ich nicht die Anfänge dieses Virus. Brav tat ich alles, was mir gesagt wurde und dies aus Überzeugung. Gefühlt zog es allen Menschen den Boden unter den Füßen weg. Viele hatten große finanzielle Einbußen, Existenzsorgen oder litten schlichtweg unter absoluter Überlastung wie wir Eltern. Wir Deutschen sind jedoch pragmatisch. Schnell wurden Lösungen gefunden, Geldtöpfe geöffnet, gefördert was das Zeug hielt, Maßnahmen beschlossen, damit schnell alle wieder auf die Beine kommen. Und das möglichst heile.
Alle?
Es ist kein Geheimnis mehr, dass die Familien vergessen wurden. Vergessen klingt wesentlich schöner als ignoriert, von sich weggeschoben oder wegwahlgekämpft. Dass die Familie, der Ursprung jeglicher Gesellschaft, keine Lobby hat, dürfte mittlerweile jedem klar sein. Selbst meine Achtjährige hat das Wort Lobby bereits in ihren aktiven Wortschatz aufgenommen, weil es sein könnte, dass sie es in den letzten Wochen öfter daheim gehört hat. Und so litten wir Familien vor uns hin, jammerten gemeinsam und machten uns regelmäßig Mut, um nicht komplett durchzudrehen. Moment… jammerten die Familien vor sich hin? Oder waren es überwiegend die Frauen? Und wenn ja, warum?
Wer sich kümmert, den kümmert’s!
Das Schulkind darf auch trotz der Lockerungen lediglich jeden zweiten Tag zur Schule? Natürlich kümmert sich die Mutter darum, wer sonst. Sie erledigt ihren Erwerbsjob einfach am Familienesstisch während sie gleichzeitig Division mit Rest erklärt. Der kleine Bruder hat eine leicht nasale Stimme? Und hält sich daher ausschließlich eine Nabelschnurlänge entfernt von der Mutter auf? Kein Problem für die Superheldin. Schnell neben der Arbeit noch ein Bilderbuch anschauen, dann mal kurz eine möglichst gesunde Mahlzeit zaubern für die hungrigen Kinder und den Mann, Home-Schooling-Aufgaben kontrollieren, Wutausbrüche hierzu tolerieren, total bedürfnisorientiert stumm vor eigener Wut vibrieren und noch vieles vieles mehr. Sie kennen das.
Warum tat ich das? Warum kümmerte ich mich? Weil ich seit den Kindern den flexibleren Job habe. Ich korrigiere: haben MUSS. Wenn man (frau) so was völlig Verrücktes will wie Kinder (um die Gesellschaft auf völlig systemirrelevante Art und Weise am Leben zu halten) und dann – Achtung, noch verrückter – gleichzeitig einer Erwerbstätigkeit nachgehen will und muss, dann sollte man (äh frau) schon auch dafür sorgen, dass die Infrastruktur passt. Keine Großeltern verfügbar? Dann bekamen wir Mütter das (auch vor Corona) eben alleine hin. Was hinterher auf dem Überweisungsschein für die Mutter-Kind-Kur steht oder dem Konsiliarbericht für den Psychotherapeuten, fragt am Ende ja sowieso keiner. Wir vereinbarten in feministischer Höchstleistung also die absolute Unvereinbarkeit, was bedauerlicherweise ein sehr anfälliges Konstrukt war. Weitsichtig wie wir Mütter im Normalfall sind, hätten wir vielleicht doch besser eine globale Pandemie miteingeplant. Denn plötzlich geriet dieses fragile System von einem Tag auf den anderen ins Kippen. Natürlich machten wir spontan das, was wir immer taten. Wir waren die Ersthelfer vor Ort und verpflichteten uns auch direkt für die therapeutische Nachsorge. Wir kümmerten uns um die Kinder während die (oft bärtigen) Familienverdiener sich in der Zwischenzeit von einer Telko in die nächste einwählten. Dabei mache ich meinem Mann persönlich gar keinen Vorwurf. Auch wenn er das mit Sicherheit hier durchaus anders darstellen würde. 😉 Nun gut, er übernahm weiter brav seinen Part im System. Und ich noch bräver meinen.
„Der Mann der Zeitreisenden“ – der Bestseller von Corinna Corona
Vor Corona hatte ich das Gefühl, wir näherten uns in Mikroschritten einer gleichberechtigten Gesellschaft, zwar noch immer mit einem Berg an Arbeit vor uns, aber die Richtung stimmte. Nur wenige Monate später scheint es mir als ob wir rückwärtsrollend wieder in eine andere Zeit katapultiert wurden. Fairerweise muss ich dazusagen, dass ich mich vor einigen Jahren bewusst für den flexiblen Job entschieden habe. Ich bin es auch, die im Alltag gerne die Kinder nachmittags abholt. Jeder muss das für sich entscheiden und es gibt absolut kein Richtig und schon gleich gar kein Falsch. Für uns ist es für den Moment der richtige Weg. Und ja, ich übernehme auch gern im normalen Leben zwei Drittel der Care-Arbeit. Auch das eine Abstimmung in unserem ureigenen System. Aber wenn nun in diesen besonderen Zeiten jeder Schnupfen bedeutet, dass sehr vitale Kinder für eine Woche nicht in den Kindergarten gehen können oder das Schulkind generell nur alle zwei Tage in der Schule ist und am Tag dazwischen beschult werden muss – dies noch dazu von einer Person, die im Stande sein sollte, geduldig und mit sanftmütiger Stimme zweihundertvierunddreißig Mal Pyramidenrechnung und die Uhr zu erklären… ja dann möchte ich herausschreien: „NEIN, dazu habe ich mich nicht enschieden!“ Ich bin ganz bestimmt die weltschlechteste Lehrerin dieses Universums und deswegen übe ich diesen Beruf besser auch nicht aus. In mir drin der tiefste Respekt für diejenigen, die dies geduldig und mit sanftmütiger Stimme tun. Im Lockdown hatte ich durchaus Verständnis für meine neue Tätigkeit als Grundschullehrerin und habe ge-home-schooled was nur so ging (viel ging allerdings nicht). Aber jetzt, vier Monate später, erwarte ich Konzepte von da oben, verdammte Axt!! Es kann doch nicht sein, dass mein Schulkind nur zwei Tage die Woche am Unterricht teilnehmen darf (an die zweite Welle im Herbst möchte ich gar nicht denken!) und sich den restlichen Schulstoff daheim mit schwindeligen, schlecht kopierten Arbeitsblättern beibringen muss. Ich korrigiere: beibringen lassen muss. Von einer Person, die alles andere als geduldig und sanftmü….. Sie kennen das.
Manchmal frage ich mich schon, warum nicht mehr geschimpft wird. Leide etwa nur ich gerade akut unter Schimpftourette und Mittelfinger-Erektion? Wohl kaum, oder?
Aber warum akzeptieren wir das alles?
Es liegt leider auf der Hand. Wenn wir bei der Arbeit streiken, dann ruft das möglicherweise nicht mehr als ein müdes Grinsen hervor. Schicken wir die unzuverlässige Mutter doch mal ganz sozialverträglich in die Kurzarbeit. Jürgen oder Michael stehen ja schon mit ihren „40-Stunden-meine-Frau-hält-mir-den-Rücken-frei“ in ihren gutbezahlten Startlöchern. Okay, wir notieren: Streiken bei der Erwerbstätigkeit, um auf diese nicht zu bewältigende Aufgabe aufmerksam zu machen, die da seit Wochen auf uns Müttern lastet, macht also nicht so viel Sinn. Und bei unserem Job zu Hause? Hhm. Wenn wir daheim bei der Care-Arbeit streiken, dann ruft das tatsächlich kurz eine Genugtuung hervor, die dann allerdings rasch übergeht in Genervtheit, die dann übergeht in doppelt und dreifache Arbeit, weil die Arbeit einfach liegenbleibt und dort hämisch grinsend auf uns wartet, die dann übergeht in schlechtes Gewissen, weil Kind, Wohnung und Mann akut zu verwahrlosen drohen, das dann wiederum übergeht in Beendigung des Streiks. Puh. So anstrengend wie der Satz auch der Streik. In der Regel gibt es auch keine neuen Tarifverhandlungen. Sparen Sie sich die Mühe, ich habe das mehrfach für Sie getestet.
Liebe Mütter, wir dürfen unbequem werden!
Ich wünschte so sehr, all die Frauen der EntscheidungsträgER würden mal einen Tag streiken. Vorallem die Mütter unter ihnen. Nur einen einzigen Tag. Auch das Au-Pair. Das andere auch. Hoppla, dann wär’s scho a bisserl schwierig, meine Herrschaften, oder…?!
Jede Veränderung, jede Verbesserung für uns Frauen in der Gesellschaft gingen immer nur einher mit einem andauernden und unaufhörlichen Unbequemwerden. Der Gesellschaft gegenüber. Ein bisschen wie wenn meine Kinder mich fragen, ob sie was glotzen dürfen, ich mit „Nein“ antworte und sie nur verstehen: „Frag einfach weiter, Mama hat die Frage nicht verstanden„. Wir dürfen bohren, meine Damen. Ehrlich gesagt ist es doch momentan das einzige, was wir tun können. Darüber sprechen, diskutieren, offenlegen, einfordern. Das wird noch ein harter Prozess. Aber wir müssen ihn anstoßen. In Zeiten von Corona mehr denn je. Ich möchte nicht akzeptieren, nicht gehört zu werden. Also ab mit uns, Flugrolle vorwärts! Verbündet euch! Setzt den Mann am Home-Schooling-Tag aus dem Arbeitszimmer an den Esstisch zum Home-NO-ffice. Und wir Mütter gehen derweil schön ins Café zum Arbeiten. In Ruhe. Dann kommt zur Helikopter- und zur Latte-Macchiato-Mutter eben auch noch die Corona-Café-Mutter hinzu. Sei’s drum, wir sind es doch schon gewohnt, dass jeder über uns zu urteilen vermag.
Halten Sie durch da draußen, Sie fürsorglichen, verantwortungsbewussten, fleißigen, manchmal maximal genervten, wütenden, schreienden, kuschelnden, biervorviertrinkenden, vordenfernseherparkenden, wunderbaren Geschöpfe. Wie stark kann man (äh frau) eigentlich sein?!
Übrigens… der Back Flip ist viel schwieriger als ein schnöder Purzelbaum. Weiß doch jeder!


Sehr erfrischend und ehrlich geschrieben 😀 Mamas an die Macht!!
Total bedürfnisorientiert stumm vor eigener Wut vibrieren – verdammt, das trifft hart, denn es stimmt.