Heute gibt es mal wieder etwas aus der Kategorie „Briefe, die ich nie geschrieben habe“. Wobei ich immer haarscharf am echten Briefeinwurf vorbeischramme. Danke an die Menschen um mich herum, die mir stets helfen, nicht auf das sinkende Schiff aufzuspringen. Aber heute lassen wir es krachen. Es singt sinkt für Sie: das Niveau!

Liebe Nachbarn, wie schön, dass wir im Notfall einfach immer auf euch zählen können. Es tut so gut, dass ihr uns auch in harten Lebensphasen stets begleitet. Zum Beispiel jeden Wutanfall unserer Kinder mit rhythmischem Stampfen. Wir sind euch so dankbar für eure Solidarität. Es macht wirklich Sinn, Menschen unter einem Meter, die sich wie ein Rumpelstilzchen verhalten, nachzuahmen. Das macht das Ganze gleich so viel leichter zu ertragen für alle Beteiligten.

Und auch dem Einjährigen habt ihr schon auf sehr eindrückliche Weise das Newtonsche Gesetz erklärt. Actio und Reactio: Nehme ich mit meinen noch recht unkoordinierten kleinen Ärmchen meine Trinkflasche und klopfe sie beim Abendessen dreimal auf den Tisch, erfolgt sogleich im Wechselwirkungsprinzip dreimaliges Klopfen über das Heizungsrohr. Cool! Versuche ich gleich nochmal… funktioniert wieder. Phänomenal! Ihm steht eine große Physikerkarriere bevor. Das ist euer Verdienst!

Wir hätten so gern einmal persönlich mit euch gesprochen, um euch zu danken. Und nebenbei die Dinge zwischen uns aus dem Weg zu räumen. Also auch gerne den Besenstiel, über den ihr manchmal vermutlich einfach stolpert, wenn bei uns Kind 1, 2 oder 3 gerade ihren Rappel bekommen. Wir können den Besen gerne bei uns aufbewahren. Das ist wirklich kein Problem! Ich würde ihn euch dann einfach zurückgeben, wenn ihr irgendwann mal das Bedürfnis haben solltet, vor eurem eigenen Hof zu kehren.

Denn wir sind wirklich so unendlich froh. Dank euch kamen unsere Kinder in den letzten Monaten sogar schon in den Genuss eines Grundkurses in musikalischer Früherziehung. Eure erwachsenen Kinder sind echt wunderbare Vocal Coaches. Oder seid ihr das sogar selbst? Vielleicht könnten wir nur über die Zeiten nochmals sprechen, in denen ihr dieses eine Lied immer wieder auf eurer Großraumdisco-Hifi-Anlage mit integriertem Hyper-Hyper-Verstärker zum Besten gebt? Ich verstehe, dass dieser eine Techno-Song täglich von 20.00 bis 20.15 Uhr einfach am besten klingt. Da liegen unsere Kinder dann immer im Bett und alle sind ganz Ohr. Ein bisschen Abwechslung in der Songwahl wäre aber schon schön. Und ganz vielleicht, also wenn es keine Umstände macht, könntet ihr das von den Zeiten ja auch hier und da mal ein wenig variieren. Ist ja auch für euch ziemlich doof, immer zur selben Uhrzeit daheim zu sein, um dieses eine Lied für fünfzehn Minuten abzuspielen. Über Monate hinweg. Also wir haben da wirklich vollstes Verständnis, wenn ihr da auch einfach mal pausieren wollt.

Gerne würden wir uns wirklich einmal für euer stets kameradschaftliches Verhalten bedanken. Möglicherweise könnte man ja gemeinsam sogar neue Strategien entwickeln, die nicht gar so anstrengend für euch wären wie permanentes Klopfen oder Schreien. Aber es ist wie verhext. Jede Einladung zu einem Glas Wein und einem persönlichen Gespräch gingen über Whatsapp bisher irgendwie verloren. Vielleicht sollte ich Mark Zuckerberg mal danach fragen…?

Sicherheitshalber haben wir euch dann mehrere Male persönlich angesprochen, um die Dinge – wie Erwachsene – in aller Ruhe zu klären. Aber ihr wolltet irgendwie immer nur Mutter-Vater-Kind spielen. Also ihr immer die Kinder im Trotzalter, wir die verständnisvollen Eltern. Oooch Menno. Wir haben doch schon drei Kinder im Trotz- und Wüterichalter und sind oft echt ziemlich durch. Da würden wir so gerne mit euch mal was anderes spielen als Kindergarten. Könnt ihr das nicht verstehen?

Achso. Bevor ich’s vergesse. Ich wollte mich auch nochmal ganz herzlich bedanken für die medizinische Ersthilfe bei unseren Jungs. Sowohl der Mittlere als auch der Einjährige durften schon von deinem Fachwissen, Frau Dr. Nachbarin senior, profitieren. Erst vor wenigen Tagen erhielten wir spontan und ungefragt bei dir einen Termin zur U6. Bei uns im Gemeinschaftshof – wie praktisch!
„Ihr wisst schon, dass es dagegen Medikamente gibt. Das kleine Balg da ist doch gestört.“ Es ist wirklich klasse. Denn jetzt weiß ich, was zu tun ist, wenn der Mini sich mal wieder so mit den Zähnen plagt. Oder mit Fieber. Oder mit dem Fingernägelschneiden. Wirklich fieß, dass meine Kinderärztin mich bisher anscheinend nie ernst genommen hat. Bei Problemen wie anhaltendem Babyschreien, hat sie mich all die Jahre, die wir nun schon bei ihr sind, immer nur freundlich angelächelt, mir Mut zugesprochen und gesagt „Sie wissen doch, es ist alles nur eine Phase“. Mit keinem Ton hat sie uns gewarnt, dass unsere Kinder gestört wären. Wie gut, dass ich jetzt auch weiß, dass schon der Einjährige dagegen Medikamente nehmen kann. Wenn ich dich nicht hätte, Frau Dr. Nachbarin.

Hach, es ist so schön mit euch. Es gab schon diverse Abende, da hätte ich literweise Suppe kochen können. Von diesen ganzen Zwiebeln, die ich mit eurer wunderbaren Hilfe geschnitten habe. Auch als unser Jüngster – ein kleines Frühchen – direkt nach der Geburt wochenlang auf der Intensivstation war und im selben Jahr noch zwei weitere Male ins Krankenhaus musste, wart ihr stets da. Also vor unserer Wohnungstür.
Du, lieber Nachbar senior, konntest bedauerlicherweise nicht im Home-Office arbeiten, weil unser damals Zweijähriger einfach nicht kooperiert hat in der aktuellen Situation. Ziemlich schwach von dem Kind, finde ich. Denn Verzeihung, warum bitteschön muss man derart rumheulen, wenn ein Geschwisterchen kommt, alle in der Familie voller Sorge sind und die Mama ständig weg ist? Der könnte ja auch mal Rücksicht nehmen auf dich. Und dass du hier im Wohnhaus arbeiten musst. Echt mal. Das werde ich definitiv mal noch mit ihm ausdiskutieren.

Ganz lieben Dank auch noch für die Information über unsere Vormieter. Beim ersten (und letzten) Grillfest im Gemeinschaftsgarten hattet ihr uns damals noch freundlich von der prekären Lage erzählt. Es gibt einem wirklich ein sicheres Gefühl, wenn man als Eltern weiß, dass die netten Nachbarn immer die Augen und Ohren offen halten. Und auch gerne jederzeit das Jugendamt verständigen, wenn irgendetwas nicht in Ordnung zu sein scheint.

Ich meine, sorry, aber welches normale Kind schreit denn bitte grundlos „Aua aua aua“? Da muss man dem Nachwuchs doch schon mindestens die Zehennägel schneiden, Haare waschen oder – haltet euch fest – D-E-N S-C-H-L-A-F-A-N-Z-U-G A-N-Z-I-E-H-E-N! Gut, dass ihr hier immer ein Auge drauf habt. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn ihr nicht eingreifen würdet. Die Kinder hätten zum Beispiel geschnittene Zehennägel. Puh. Ich möchte mir gar nicht die Ausmaße vorstellen.

Danke für euren Support. Für euer Mitgefühl. Für die Schimpfwörter, die ihr unseren Kindern beibringt. Danke, dass ich täglich an euch wachsen darf. Das ist das beste Real-Life-Anti-Aggressionstraining.

P.S.: Morgen werden Fingernägel geschnitten. Werde den Jüngsten aber im Vorfeld über die Vorteile einer ordentlichen Maniküre unterrichten. Mit seinen sechzehn Monaten wird er das verstehen und angemessen kooperieren. Ansonsten klopft doch einfach wieder. Am besten an der Tür. Dann gibt’s Schnaps. Der hilft auch bestimmt gegen nachbarschaftliche Bösartigkeit.