Es war einmal eine dreißigjährige Frau. Eine ziemlich dicke dreißigjährige Frau. Mit einer recht ungünstigen Gewichtsverteilung. Und einem eher suboptimalen Körperschwerpunkt…

Diese Frau war war ich in der 38. Schwangerschaftswoche mit meinem ersten Kind. Ich hatte glücklicherweise eine wirklich gute Schwangerschaft. Klar, das erste Drittel war herausfordernd mit all seinen Verdächtigen. Aber danach ging es mir unterm Strich einfach gut. Ich nahm jede Ultraschalluntersuchung mit Baby-TV mit, die ich bekommen konnte. Und ließ mich von all den Experten um mich herum richtig schön pampern. Rückblickend betrachtet hatte ich einfach unendlich viel Zeit. Für mich und für das Träumen einer perfekten Geburt. Das rauschende Finale der letzten neun Monate. Es roch nach Champagner und Wunderkerzen. Das haben doch schon Milliarden Frauen vor mir geschafft. Und ich bin ja generell nicht so der schmerzempfindliche Typ Mensch.

38+0, also zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin, hieß es dann leider: Die Versorgung des kleinen Menschleins sei nicht mehr ganz optimal. Fruchtwasser zu wenig und das CTG grenzwertig. „Bitte kommen Sie doch morgen um 8 Uhr in der Früh vorbei zur Einleitung.“

Einleitung. Aha.

Darauf war ich jetzt nicht vorbereitet. Brütete ich doch gerade so schön vor mich hin. Es wurde gerade so richtig gemütlich und alle kümmerten sich rührend um mich. Was mein Selbstwertgefühl ungemein pushte. Ich war verwirrt und auf eine ganz neue Art und Weise irgendwie auch sehr gespannt. Hinterfragt habe ich es nicht. Warum auch. Die Götter in Weiß werden schon wissen, was zu tun ist.
Es war mittlerweile kurz nach fünf Uhr nachmittags. Ich rief den Mann an.

„Mann, es wird Ernst. Morgen früh werden wir Eltern.“

In einschlägigen Foren hatte ich allerdings gelesen, dass eine Einleitung vor dem Termin mitunter zäh und langwierig sein konnte. Also tat ich, was eine Frau 15 Stunden vor Geburtsbeginn tun musste. Ich kaufte mir Bücher. Zur Überbrückung eventuell aufkommender Langeweile. Vier! Romane! Dicke Romane! Die – um es kurz vorweg zu nehmen – niemals gelesen wurden. Auch siebeneinhalb Jahre später noch nicht. Ich weiß noch genau, wie ich der Buchhändlerin (schätzungsweise um die 50) sagte, ich bräuchte ein paar seichte Bücher. Die man direkt vor oder nach einer Entbindung lesen könnte. Meiner Entbindung. Und ich grinste sie mit diesem verschwörerischen Lächeln an. Das nur Menschen haben können, die absolut keinen Plan haben. Im Nachhinein betrachtet stelle ich mir zwei Fragen. Für wie dämlich muss sie mich bitte gehalten haben? Und: Warum hat sie nicht wenigstens versucht, mir die rosarote Geburtsmärchenbrille von der Nase zu reißen? Recht schönen Dank auch.

Nun denn. Mit vier dicken Schmökern machte ich mich auf den Heimweg. Und Kribbeln und Schluckauf im Bauch. Der Vater in spe wartete zu Hause schon auf mich. Wir wollten diesen letzten Abend in trauter Zweisamkeit nochmal so richtig genießen und zum Italiener ums Eck gehen. Wo ich mir abends um 21 Uhr direkt noch einmal schön den Magen vollgehauen habe mit einer riesigen Pizza Hawaii. Von der hatte ich dann den nächsten Vormittag noch häufiger was.
Wir sprachen über alles. Wie es wohl werden würde mit Baby. Was wir für Eltern werden würden. Was wir alles besser machen würden als die anderen. Bli bla blubb. Über die Geburt sprachen wir nicht.

Das wird schon werden. Ich bin ja nicht so schmerzempfindlich.

Am nächsten Morgen klingelte um sechs mein Wecker. Ich versuchte mich – so gut es mit der Wampe ging – irgendwie präsentierfähig zu machen. Oben und unten rum. Fußnagellängen- und Farbstatus waren noch ok. Zumindest als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Alles andere wurde natürlich noch einmal schön gerichtet, getrimmt, gekürzt, gepflegt. Ich zog meine schöne neue Jogginghose an, die ich mir extra für den Tag der Tage besorgt hatte. In einem zarten unschuldigen Beige. Und tuschte meine Wimpern.
ICH TUSCHTE MEINE WIMPERN!
Für das märchenhafte Finale der letzten Monate.
Bisher hatte eine Einleitung für mich immer nur die Funktion auf ein Thema hinzuführen. Aufmerksamkeit zu erregen und einen kleinen Vorgeschmack auf den spannenden Hauptteil zu geben.

Also, auf geht’s!

Ich möchte hier jetzt auch gar nicht lange über das Für und Wider einer Geburtseinleitung sprechen. Mitunter ist sie manchmal sicher nötig. Denke ich. Die erste Dosis des Hormongels schien den Ärzten wohl nicht schnell genug zu wirken. Es ging auch wirklich zu wie am Münchner Hauptbahnhof. Und ich war die ersten zwei Stunden eine wirklich sehr ineffiziente Gebärende. Asche auf mein Haupt. Was wehte, war eigentlich nur mein Haar vom Ausatmungsschnarcher des Mannes neben mir. Nach der zweiten Gabe des Hormongels war dann aber alles vorbei. Es schien, als hätte ich die Kontrolle über meinen Körper verloren. Der Mann und ich fragen uns übrigens heute noch (nach mittlerweile drei Geburten), wann genau nochmal der Pezziball, das Tarzan-Seil oder der Wehentanz zu Shakiras Waka Waka stattfinden sollte. Ich scheine wohl eher so der „hilflose umgedrehte Käfer-Typ“ zu sein. Ich korrigiere: „Der kotzende Käfer-Typ“.

Die Pizza Hawaii war relativ bald definitiv nicht mehr Bestandteil meines Körpers. Ebenso wenig wie das Frühstück. Und sicher auch alle Mahlzeiten der letzten vier Wochen. Hatte ich Wehen? Tjoah. Ich schätze, ich hatte eine Wehe. Etwa 16 Stunden lang.

Wie gesagt, ich möchte nicht lange lamentieren über die Schmerzen, die eine Geburt so mit sich bringt. Keine Schwangere, die ich bisher kennengelernt habe, erwartet einen Spaziergang. Es ist natürlich eine Grenzerfahrung. Eine Naturgewalt, für die ich auch im Nachhinein kaum Worte finde. Aber es gibt Dinge, die ich vorher gern gewusst hätte. Die einem aber niemand sagt. Auch ich tue bisher einen Teufel und berichte einer Erstgebärenden in spe die unangenehmen Seiten. Warum eigentlich?! Damit diese Schwangere, die mir da gegenübersitzt genauso unvorbereitet in die Sache reingeht wie ich? Ist das nicht absurd? In Anwesenheit einer Schwangeren ab der – sagen wir mal – 36. Woche verstummen Mütter plötzlich. Lassen unbeholfene Sätze verlauten, wie „Ach, du schaffst das schon“ oder „Wirst sehen, wenn du dein Baby in den Armen hast, ist jeder Schmerz vergessen.“ Liebe Mütter, ich bitte Sie. Da lügen wir uns doch mal alle richtig gepflegt in die Kliniktasche, oder nicht? Uns müssten einmeterfünfziglange Nasen wachsen. Stünde ich noch einmal vor meiner ersten Geburt, ich hätte mir gerne die eine oder andere wahre Story angehört. Eine ehrliche Geburtsgeschichte mit allen Details. Auch den unschönen. Von Kontrollverlust, Oberbefehlshaberhebammen und Ausscheidungen aus den unterschiedlichsten Körperöffnungen.

Vielleicht hätte ich bei meiner ganz eigenen Premiere manche Dinge dann anders gesehen. Anders bewertet. Hätte manche Geschehnisse vielleicht direkt einordnen können. Und zwar nicht in die „Ich habe komplett versagt – Schublade“. Sondern in die „Dies und jenes lief nicht optimal. Das lag aber nicht an mir – Schublade“.
Wie ging ich raus aus dieser ersten Geburt? Ein bisschen wie von einem Lkw überfahren. Einem verdammt großen Lkw. Auch Stunden später noch völlig neben mir und in einem psychischen Ausnahmezustand. Dass mein Baby möglicherweise nicht bei mir sein könnte und ich da alleine mit frischgebackenen Müttern und einer Milchpumpe im Zimmer liegen würde, kam in meinen Vorstellungen einer Geburt ganz sicher nicht vor. Dass ich mich hinterher wie der größte Versager fühlen würde, definitiv auch nicht.

Wie gerne hätte ich meinem romantisch-naiven schwangeren Ich ein paar Dinge mit auf die Reise gegeben. Denn hätte ich nur ein paar dieser Dinge schon vorher gewusst, wäre ich vermutlich aufrechter rausgegangen.

Liebes erstgebärendes Ich,

1. Das Kind in deinem Bauch ist dein Kind. Du bist die Mama. Und du wurdest von Mutter Natur mit einem Bauchgefühl ausgestattet. Dass du ernstnehmen darfst und sollst. Wenn dir ein Arzt also plötzlich sagt, es wäre besser morgen früh um acht Uhr zur Einleitung zu erscheinen, dann ist es dein gutes Recht, hier noch einmal genauer nachzuhaken. Du darfst dir jederzeit eine zweite Meinung einholen. Gerne auch von einer dir sympathischen Hebamme. Ich möchte hier keine Notsituation verharmlosen. Aber rückblickend betrachtet war es wohl keine akute Notsituation, wenn ich in aller Ruhe wieder heimgehen, shoppen und eine riesige Pizza Hawaii verdrücken durfte.

2. Frag genauer nach! Was gibt es denn eigentlich für Möglichkeiten einer Einleitung? Ich habe mittlerweile zwei hinter mir. Und für mich gab es definitiv einmal die Holzhammermethode, einmal eine relativ Sanfte.

3. Wenn nach vielen Stunden unglaublich schmerzhafter Dauerwehen die 18-jährige Hebammenschülerin mit Blick auf den CTG-Monitor zu dir sagt, dass das noch keine echten Wehen seien, dann, ja dann kannst du getrost jedes dir bekannte Schimpfwort rausbrüllen. Oder es dir vornehmen zu tun, solltest du irgendwann wieder in der Lage sein zu schreien. Denn das waren verdammt echte Wehen, du Pappnase!
Und merke: Wie weit die Zahlen auf dem Monitor in der Wehe ansteigen, hat nämlich herzlich wenig mit der Intensität der Wehe zu tun. Oftmals liegt es einfach nur am Körperbau der Frau, welche Höhe dieser Wert maximal erreicht. Was damals definitiv stieg, war meine Panik vor den vermeintlichen „echten Wehen“. Wie unnötig, liebe unsensible Hebammenschülerin.

4. Wenn sie dir nach 16 Stunden Dauerschmerz eine PDA verpassen aufgrund absoluter Erschöpfung und Geburtsstillstand (den du im übrigen nicht verursacht hast, auch wenn dich die hektischen Menschen um dich herum dies haben spüren lassen), ja dann nimm diese Tatsache einfach dankend an. Auch im Nachhinein. Dein früheres Ich mit all seinen Idealen hat keine Ahnung vom fu&&ing Wehenschmerz. Willkommen im kleinen Kurzurlaub. Genieß ihn einfach, solange du kannst.

5. Wenn der Arzt sich kaugummikauend (weiß der Teufel, warum ich mich so gut an dieses Kauen erinnere) auf deinen Bauch wirft, weil du irgendetwas anscheinend nicht richtig machen würdest und (O-Ton) so verkrampft wärst, dann lass dir gesagt sein: Du machst alles verdammt richtig. Diese ganze Situation wurde künstlich herbeigeführt. Und auch wenn es medizinisch vielleicht notwendig war, dann wäre ein netteres Ambiente (ohne genervtes Kaugummikauen) und ein klein wenig emotionale Stärkung im Sinne von „Hey, Sie machen das phänomenal gut“, sicher sehr günstig für den weiteren Geburtsverlauf gewesen. Vielleicht doch die Branche wechseln und ab ins Metzgerhandwerk? Wobei… da erwarte ich durchaus mehr Sensibilität.

6. Bleib mündig! Irgendetwas fühlt sich nicht richtig an? Wenn du noch ein Fünkchen Kraft hast, dich den Hebammen oder Ärzten mitzuteilen oder zumindest deinem Partner, dann tu das! Es ist dein Körper, es ist dein Kind! Die Menschheit wäre längst ausgestorben, hätten Frauen nicht oftmals einfach auf ihr Gefühl gehört.

7. Es kann sein, dass dein Baby nach der Entbindung nicht bei dir sein kann. Meistens geht alles gut. Aber lass dir ganz kurz auch einmal das Szenario durch den Kopf gehen, dass du nach der Entbindung auf der Wöchnerinnenstation liegst ohne Baby. Das wird hart. Und die Gefühle, die du dann in dir hast, sind völlig normal. Sei nicht stark. Brich bei der nächsten Hebamme, die du siehst in Tränen aus. Die Tränen, die du schon die ganze Zeit mit aller Kraft unterdrückst. Spar dir diese Kräfte und brich einfach aus. Lass dir helfen. Ich wage zu behaupten, dass es trotz Zeitmangel auf einer Wöchnerinnenstation Menschen gibt, die sich ein paar Minuten intensiv Zeit für dich nehmen. Das könnte Gold wert sein. Aber zeig deine Not auch. Das kostet weniger Kraft als durchzuhalten.

8. Leide, was das Zeug hält. Lass dir bloß im Nachhinein nicht einreden, dass du doch froh sein müsstest. Es sei ja alles gut gegangen. Es gäbe ja so unglaublich viele schlimmere Schicksale. Natürlich gibt es die. Aber jetzt gibt es eben für dich nur DICH. Und DEIN Baby. Rede darüber und weine. Und danach: Rede darüber und weine. Was deine Stimmbänder und Tränenkanäle hergeben. Liebes erstgebärendes Ich, nimm dir so viel Zeit wie du brauchst für die Heilung. Es wird immer dein wunder Punkt bleiben. Aber säubere erst mal richtig die Wunde. Und wenn dein Baby dann drei Tage später kerngesund in deinen Armen liegt, dann musst du eines ganz gewiss nicht sein: dankbar. Du wirst das irgendwann werden, keine Sorge. Aber kein Mensch muss dankbar sein für diese letzten unglaublich beschissenen Stunden. Für schlechtgelauntes Personal. Für Angst ums Kind. Für das fehlende Kuscheln. Für die anschließende Intensivstation. Es geht nicht um andere furchtbare Schicksale. Es geht hier um dich.

Zweites Kind. Neues Kapitel.

Jede Geburt verändert unser Leben. Und nicht nur, weil da am Ende eines Marathons ein kleines neues Wesen da ist.
Geburten können uns stark machen. Aber zum Teil sind sie auch einfach verdammt traumatisierend. Glücklicherweise hat mich die Geburt meines zweiten Kindes wieder mit mir selbst und der Sache mit dem Kinderkriegen versöhnt. Sie hat mir meine Stärke vor Augen gehalten. Und dass ich das durchaus auch alleine schaffen könnte. Warum verlief diese zweite Geburt so viel besser? Wir hatten damals im übrigen auch schon einen Termin zur Einleitung in der Tasche. Irgendwie scheinen mir die Götter in Weiß nicht zuzutrauen, einfach mal in Ruhe fertig zu brüten. Weil der Prototyp in meinem Bauch von den Maßen mal wieder nicht ganz den Anforderungen des Durchschnittsprodukts entsprach. Einleitungstermin war der Morgen vor dem eigentlich errechneten Termin. Was waren sie gnädig, dass ich so lange warten durfte. Ich hatte von Anfang an ein schlechtes Gefühl bei diesem Termin. Daher habe ich den Mann wenige Stunden später gebeten, im Kreißsaal anzurufen und zu verkünden, dass wir noch einen Tag warten wollten. Bis zum ET. Dann kämen wir auch brav zur Einleitung.

Wir sind am errechneten Termin dann auch tatsächlich in die Klinik gefahren. Weil der Sohnemann sich ganz von alleine auf den Weg gemacht hat. Der Bauch hat also genau richtig entschieden. Im Krankenhaus angekommen, hatte ich das Glück, noch im Flur auf eine Hebamme zu treffen, die mir Superkräfte verliehen hat. Kräfte, die ich wohl schon in mir hatte. Das Vertrauen in mich selbst, obwohl ich es gerade so gar nicht spüren konnte. Natürlich schrie ich nach einer PDA und irgendwann auch nach einem Kaiserschnitt. Drohte dem Mann mit sofortiger Scheidung und lebenslanger Vergeltung für diese unsäglichen Schmerzen.

Und dann war da einfach Monika.

Ich glaube, ich taxierte sie mit meinen Blicken wie eine völlig Irre. Hebamme Monika aber ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Und schenkte mir die Zuversicht zurück, die ich irgendwo bei der Geburt meines ersten Kindes verloren hatte. Niemand rockte das Ding hier jetzt außer mir. Here I go again on my own!
Ich könnte immer noch heulen wie ein Schlosshund, wenn ich daran denke. Ja, hier und vor allem ihr war ich von Herzen dankbar. Und bin es nach vier Jahren immer noch. Ich bin mir sicher, dass diese wunderbare Person der Grund ist, warum diese Geburt nahezu perfekt ablief. Was Geburtshelfer bewirken können! Das personifizierte Schmerzmittel.

Geburtsvorbereitung – ein pränatales Warm-up.

Geburtsvorbereitungskurse sind schön und gut. Zusammen mit vielen Gleichgesinnten in eine Oase der Entspannung eintauchen. Ich spüre noch immer diesen Zauber der letzten Wochen vor der ersten Entbindung. Die Mütter, die ich dort kennengelernt habe vor über sieben Jahren sind mir ans Herz gewachsen. Ich ertappe mich heute noch dabei, wie sehr ich diesen Zauber vermisse, den man nur als Erstgebärende in spe hat. Aber rückblickend wünschte ich mir dennoch in der Geburtsvorbereitung ein bisschen mehr Realität. Vielleicht ist es dann eine nicht gar so romantische Abendveranstaltung. Anstatt zu den sanften Klängen von Enya zu meditieren, würden die Damen vielleicht zu AC/DC abrocken. Manche Wahrheiten ließen einen im Vorfeld sicher mehr grübeln. Fakt ist aber, dass die Mehrzahl der ehrlichen Mamas um mich herum keine besonders schöne erste Geburt hatte. Ganz im Gegenteil. Allein in meinem direkten Freundeskreis gab es die eine oder andere dramatische oder dramatisch empfundene Geburt. Mag sein, dass mehr Aufklärung nicht unverweigerlich zu einem schönerem Geburtserlebnis führt. Ganz sicher würde die emotionale Aufarbeitung später aber leichter fallen. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass werdende Mütter im Vorfeld nur wirklich stark gemacht werden können, wenn sie wissen, was auf sie zukommen könnte. Dass sie im Falle einer Komplikation, einer Änderung vom persönlichen Geburtsplan weiterhin bei sich bleiben könnten und nicht sofort jede Verantwortung hilflos an die Menschen um sich herum abgeben müssten. Oder denken, dass sie es müssten. Menschen, die uns Gebärende vielleicht ein paar Stunden – wenn überhaupt – kennen.

Witzigerweise wäre es mir vor meiner ersten Geburt nicht in den Sinn gekommen, in ein Geburtshaus zu gehen oder gar zu Hause zu gebären. Wie unverantwortlich! Am liebsten hätte ich ein zwölfköpfiges Ärzteteam bestehend aus internationalen Koryphäen der Geburtshilfe an meiner Seite gehabt. Natürlich in einer renommierten Uniklinik. Allesamt mit der Mission, mein Baby sicher auf die Welt zu holen. Oder wie Elsa es sagen würde:

Ich lass‘ loooos, lass‘ jetzt looooos.
Die Kraft der Ärzte ist grenzenlooooos.

Tja, was soll ich sagen? Den Dritten hätte ich – wäre es medizinisch vertretbar gewesen – am liebsten daheim bekommen. Warum? Ganz einfach. Weil ich es mir zugetraut hätte. Leider war unser Jüngster ein Frühchen, was auch schon länger absehbar war. Objektiv betrachtet war es die dramatischste Geburt von allen Dreien. 1800 Gramm Minimenschlein und einige Wochen Intensivstation plus OP. Aber ich hatte einen großen Vorteil: Ich war vorbereitet. Ich hatte Erfahrung. Ich habe mich schlau gemacht. Ich hatte eine wundervolle Vor-, Nach- und Rundumsorgehebamme. Ich war mündig. Ich wusste, was mir gut tut und was nicht. Ich vertraute auf mein Gefühl und ich traute mich, das auch zu kommunizieren. In einer ersten Geburt ist dies mit Sicherheit schwer. Es ist eine Naturgewalt. Aber allein das Wissen vorab, dass es so vielen Frauen genauso geht, hilft möglicherweise. Dass es doch auch immer wieder die ähnlichen Probleme gibt bei den werdenden Müttern. Dass eine Bilderbuchgeburt wünschenswert, aber nicht unbedingt der Normalfall ist. Auch wenn einem das immer wieder suggeriert wird. Dass jede Mutter unter der Geburt ihr Bestes gibt. Und dass wir Dinge leisten, die – trotz ihrer Normalität – einfach der absolute Wahnsinn sind.

Ich wünsche mir auch hier ein bisschen mehr Solidarität unter Müttern. Mir ist schon klar, dass es alle gut meinen. Aber aus Rücksicht darf’s manchmal gern ein bisschen mehr sein. Ein paar mehr Details. Und auch gerne die unschönen. Liebevoll verpackt mit lebensnahen Ratschlägen. Und einer Brise Humor. Keine Frau sollte sich nach einer Geburt als Versagerin fühlen. Und ich kenne so viele, die es noch heute tun. Das darf nicht sein!

Ich hatte vor wenigen Wochen eine befreundete 50-jährige Mama beim gemeinsamen Kaffee auf unserem Balkon sitzen. Wir sprachen über ihre Geburt, die nun schon über 20 Jahre zurückliegt. Und wir beide hatten bei ihren Erzählungen Tränen in den Augen. Sie, weil das Thema bei ihr auch nach all der Zeit noch so präsent war. Ich, weil mich genau diese Erkenntnis so berührte. Vermutlich wurde die Wunde nicht ordentlich gesäubert. Mit ein bisschen Desinfektion zuvor, wäre die Verletzung vielleicht gar nicht erst so groß geworden.

Und wenn die falschen Vorstellungen der ersten Geburt nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Lassen Sie uns lieber neue Geschichten schreiben. Vielleicht heilen Geburtverletzungen auch wesentlich schneller, wenn wir aufhören an Märchen zu glauben. Möglicherweise entstehen manche auch gar nicht.

Und ja, ich weiß, Geburten haben schon Milliarden Frauen vor uns geschafft. Aber bei einer Sache bin ich mir ziemlich sicher. Die ersten Frauen hatten sicher nicht den Druck, das perfekte Geburtserlebnis zu haben. Bringen wir dem Thema hier doch wieder ein Stück Normalität zurück. Geburten verlaufen gut. Und sie verlaufen schlecht. Vieles liegt nicht in unserer Hand. Und natürlich sind wir mit ein bisschen Abstand unendlich dankbar, dass die Medizin weiter ist als noch vor hundert Jahren. Dass unser Baby lebt, auch wenn es Komplikationen gab. Dass es Schmerzmittel gibt und lebensrettende Not-Kaiserschnitte. Aber bis sich dieses Gefühl der Dankbarkeit irgendwann einstellt, dürfen wir doch bitteschön alle nur erdenklichen Emotionen haben. Und darüber sprechen. Immer wieder. Auch über die hässlichsten. Mit Müttern und denen, die es werden wollen.

P.S.: Für Sie getestet: Wimpern tuschen vor einer Entbindung macht keinen Sinn. Gebärkleidung in einem sanften Beige übrigens auch nicht.