Bereits in der Schwangerschaft fing es an. Mit der Geburt meines ersten Kindes war es aber dann definitiv in Stein gemeißelt: Ich war eine Mutter, also durfte fortan jeder seinen Senf dazugeben. Zu mir, meinen Kindern, meiner Erziehung, meinem Leben. Gefragt und ungefragt. Kinderlos und Kinderreich. Mann oder Frau. Fachmann oder Fachidiot.

Hast du denn noch genug Milch?

(Acht Wochen post partum). Äääh ja, ich denke schon. Warum denn nicht?

Meinst du nicht, du gewöhnst ihm das an, wenn du ihn immer bei jedem Mucks gleich herumträgst?

Hhm. Weiß nicht. Aber er schreit doch.

Nimm dir auch Zeit für dich allein! Geh doch abends mal ein bisschen raus. Sonst fällt dir doch die Decke auf den Kopf.

Ich beginne ernsthaft darüber nachzudenken, mich zu klonen.

Echt, du hast dich abends schon mit Freunden getroffen? Fehlt dir dein Baby dann nicht?

Ööhm, nein! Aber vielleicht sollte es das. Hast schon recht. Waren ja auch ganze 62 Minuten. Die ich mit völlig überbewerteten Dingen verbracht habe. In Ruhe essen. Mit Gabel UND Messer. Ein Gespräch führen. Mit Subjekt Prädikat Objekt. Wieder nach Hause hetzen.

Dem Kind fehlen doch Sozialkontakte, wenn es nicht in die Krippe geht. Du kannst ihm das alles gar nicht bieten, was die dort lernen.

Ach herrje. Meinst du? Verdammt, ich muss unbedingt fördern…

Und du hast echt kein Problem damit, so einen kleinen Wurm schon fremdbetreuen zu lassen? Das könnte ich nicht.

(Der schlechte Gewissensblitz schlägt ein). Katsching! Aber… aber… ich muss doch arbeiten. Das wird sonst echt knapp mit der Kohle. Und ich möchte das doch auch…

Also meine waren alle mit zwei schon komplett windelfrei.

Niemals Druck machen mit dem Sauberwerden. Vertraue auf die Kompetenz des Kindes.

Bloß keinen Zucker!

Wenn du ihm permanent Süßkram verweigerst, wird er später süchtig danach sein und übergewichtig werden.

Diese Liste könnte ich noch unendlich weit fortführen. Frau wird zur Mutter und plötzlich können und dürfen alle mitreden. Alle. Jede noch so kleine Bewegung wird gescannt. Auf die Mutterbeurteilungswaage gelegt und dann fachmännisch oder fachdämlich Résumé gezogen. Bei der Mütter niemals ganz ohne Kritik davonkommen. Natürlich nur konstruktiv. Natürlich…

Ich wünschte, ich könnte jetzt sau cool sagen: „Hey, das interessiert mich in etwa so wenig wie das Ausblasen von Ostereiern. Ich mach mich davon einfach frei.“ Um dann mit wehendem Haar davon zu stolzieren. Bedauerlicherweise ist dem nicht so. Also manchmal vielleicht. Für einen kurzen Moment. Und trotzdem falle ich immer wieder in diese verkackte Selbstzweifelfalle. Selbstsabotage-Programm, wie meine geliebte Hebamme immer zu sagen pflegte. Oft genügt schon ein einziger Satz. Ein dazwischen geworfener Kommentar. Manchmal nur ein schiefer Blick. Iiiiiuuu-Iiiiiuuu-Iiiiiuuu. Der Alarm in meinem Kopf beginnt und ich sehe mich im Zugzwang. Sofort! Es muss gehandelt werden! Mutter muss schauen, dass der Hosenscheisser endlich sauber wird. Die überzuckerte Apfelsaftschorle in Zukunft rigoros vom Familientisch verbannt wird. Dass Mutter mal was für sich macht. Oder eben gerade nicht. Dass die Fenster geputzt werden und die Wohnung richtig schön hyggelig aussieht. Oder eben total chaotisch und dreckig. Denn: Gute Mütter haben ja bekanntlich verstaubte Regale, volle Wäschekörbe, schmutzige Fenster, ungemachte Betten und glückliche Kinder. Und was, wenn ich schmutzige Fenster aber hasse? Es gab schon Tage, da waren diese eingefetteten vertappsten Glasscheiben meine einzige Verbindung zur Außenwelt.

Verdammt. Manchmal irre ich umher und weiß einfach nicht, welchem Ideal ich gerade folgen soll. Zugegebenermaßen ist mir das Gefühl auch aus meinem früheren kinderlosen Leben nicht ganz unbekannt. Aber als Mutter ist man mit der ersten Wölbung des Babybauchs ja irgendwie eine Person des öffentlichen Lebens. Und das gestaltet die Sache noch ein bisschen komplizierter.

Tja. Was nun?

Blöd, wenn man wie ich immer so ein bisschen „viertel vor“ ist. Also immer viertel vor allem. Viertel vor ordentlich. Viertel vor selbstsicher. Viertel vor zufrieden. Viertel vor cool, vor lustig, vor schön…… Ganz bestimmt ist viertel vor an manchen Tagen sogar noch weit übertrieben. Aber großzügig aufgerundet und so im Durchschnitt betrachtet kommt es vielleicht hin.

Ich kann echt eine unglaublich coole Mama sein. Wir machen uns laut Musik an, tanzen wild durch die (unaufgeräumte) Wohnung, essen noch kurz vor dem Abendessen ein riesiges Schokoeis und fallen uns lachend in die Arme. Dann schaue ich in die großen überglücklichen Augen meiner Kinder. Ich sehe ihre geöffneten Herzen. Und ihre Freude darüber, dass alles gerade genau so ist wie es ist. Sie lieben mich einfach auf die natürlichste Art und Weise. Das verleiht mir Flügel. Hey, heute bin ich Superwoman!

Aber mindestens genauso oft bin ich leider eine lausige Mutter. Ich rege mich über alles und jeden auf. Bin müde, innerlich verbittert und weiß das auch. Dennoch hält mich dieses Wissen nicht davon ab, alle permanent zu kritisieren, über alles zu zetern, zu motzen. Dann belausche ich die zwei Großen im Kinderzimmer, wie sie über die dauerschimpfende Mama klagen. Und Pläne schmieden, ihr Taschengeld zusammenzulegen und zu den besten Freunden zu ziehen. Deren Mütter viel netter sind. Die viel mehr erlauben und ihre Kinder sowieso viel lieber haben.

Diese Tage gehen auch vorbei. Und ich weiß, sie sind normal. Aber eben genau das Wissen um diese doofen Momente macht mich angreifbar. Angreifbar für jegliche Form von Kritik. Ob gut gemeint oder nicht. Ob offen oder versteckt. Eigentlich sollte jeder, der Mütter in irgendeiner Form an seiner Meinung über sie teilhaben lässt, die Ansprache beginnen mit: „Ich finde großartig, was du machst. Und ich habe riesigen Respekt vor dir. Vielleicht könntest du dies und jenes aber auch einmal auf diese Art und Weise versuchen…“

Wer auch immer den Ratgeber spielt. Ob die befreundete Mutter, der Arbeitskollege, die Supermarktverkäuferin, der Postbote. Egal ob Schwiegereltern, Eltern, Opa oder Cousine dritten Grades. Ihr müsst wissen: Wir Mütter denken schon genug nach. Keiner macht sich so viele Vorwürfe. Und vielleicht fühlt sich auch kein anderer so oft als Versager.

Woher kommt das? Wo ist das Selbstverständnis geblieben, dass wir unsere Kinder einfach bestmöglich erziehen? Dass wir alle Mittel, die uns zur Verfügung stehen einsetzen, um diesen kleinen wunderbaren Menschen einen schönen warmen Ort zu bauen? Warum wird die Großkonzern-Vorständin nicht halb so viel kritisiert für ihren Job wie wir Mütter für unseren?

Wir geben unser Bestes. Jeden Tag. Und jede beschissene Nacht. An manchen Tagen ist es aber möglicherweise das Beste, einfach nur Schadensbegrenzung zu betreiben. Vielleicht ist es gelegentlich sogar „richtiger“, die Kinder zwei Stunden am Stück vor den Fernseher zu setzen. Sie einen Film schauen zu lassen, den sie sich schon seit Ewigkeiten wünschen zu sehen. Anstatt den Kopfstimmen zu folgen. Mach bloß etwas Sinnvolles mit den Kindern! Spiel etwas pädagogisch Wertvolles! Und dabei permanent schlechte Laune zu haben. Gemeine Sachen zu sagen oder einfach nur gelangweilt auf das Smartphone zu starren während die Zwerge einem voller Begeisterung etwas erzählen wollen. Kürzlich gab es mal so einen Nachmittag. Ich hatte eine unglaublich harte Nacht mit dem Jüngsten und war permanent nur wütend und genervt mit den Großen. Sie hätten mal die Gesichter sehen sollen, als sie mich (wie fast jeden Mittag) routinemäßig fragten, ob sie was anschauen dürften. Als ich dieses Mal einfach nur kurz und knapp mit „Ja“ antwortete, sah ich ihre Kinnladen buchstäblich runterklappen. „Echt Mama? Jetzt gleich nach dem Kindergarten? Ohne zu inhalieren? Dürfen wir echt?“

Ja.

Ich hatte an diesem Tag keine Kraft mehr für die potentielle Nominierung zur „Best Mother of the Day“. Ja! Schaut was an! Lasst mir einen Moment der Ruhe. Heute brauche ich mehr als die gewöhnlichen 20 Minuten Bibi und Tina, die es ab und an gibt. Der Jüngste ist gerade eingeschlafen. Und ich habe erst mal im Badezimmer Rotz und Wasser geheult. Ein bisschen so wie in den Comics der 80er. Wenn die Tränen einfach nur so zur Seite wegspritzen. Ich wusste gar nicht so genau, warum ich weinte. Aber ich weinte. Und das war längst überfällig. Danach habe ich in aller Ruhe zwei Kaffee getrunken und mich zu meinen Kindern aufs Sofa gesetzt. Mit jeder Fernsehminute kam meine Kraft ein bisschen mehr zurück. Heute würde ich definitiv nicht mehr zur Bestform auflaufen. Aber ich kam wieder raus aus diesem schwarzen Loch. Nach den zwei Stunden waren die Kinder tatsächlich fernsehsatt. Unglaublich, aber wahr. Und genau an diesem Tag sind wir danach wie wild durch die Wohnung getanzt. Haben uns kringelig gelacht über in den Weltraum fliegende Erdmännchen und kotzende Katzen. Und nur eine halbe Stunde vor dem Abendessen haben wir ein fettes Eis gegessen. Schadensbegrenzung at its best.

Ich möchte mehr JA sagen.

Und öfter NEIN zu dem Gefühl, nicht genug zu sein. Egal, ob andere mir das vermitteln oder ich selbst. Denn oft bin ich es ja, der den Richter spielt. Und den Angeklagten zugleich.

Hey, wir sind Mütter. Das ist so ziemlich das normalste der Welt. Genauso normal wie Glück, Stolz und Zufriedenheit. Aber eben auch Wut, Aggression und Verzweiflung. Glücklicherweise durfte ich schon einige Frauen kennenlernen, die mich regelmäßig auch an ihren hässlichsten Muttergefühlen teilhaben lassen. Die Emotionen aus der hintersten dunklen Ecke. Dafür bin ich unglaublich dankbar.

Und an all die anderen: Bitte bitte lasst mich einfach in Ruhe. Fehler machen. Verrückt sein. Streng sein. Inkonsequent sein. Beste Freundin sein. Cool sein. Unbeliebt sein. Rumschreien. Lachen. Versagen. Welten bewegen. Mama sein.