Es ist nun also vollbracht. Ich habe geliefert. Euer Enkelkind ist geschlüpft. Die längst erwartete Nichte, die Urenkelin, die Cousine, die Großgroßcousine… Noch ganz verknautscht liegt das kleine Ding in dem Krankenhausstrampler. Gleich kommt der Mann und bringt eines der seit Monaten liebevoll drapierten und mindestens schon dreimal gewaschenen Kleidersets mit. Und dann geht es endlich nach Hause.

In ein Zuhause, das noch nie so unbekannt war. Allein ein mehr oder weniger gefüllter Maxi Cosi wird die altbekannten vier Wände verändern und sie zu einem noch unerschlossenen Gebiet in der Walachei machen. Die Entlassungsuntersuchung war spät, es kam wohl noch die eine oder andere Geburt dazwischen. Mittlerweile ist es schon fast Abend, wir betreten unser neues Leben. Plötzlich hüstelt der Mann und nuschelt immer wieder mir völlig unverständliche Worte. Es braucht etwas länger bis das Gesagte bei mir ankommt und direkt im limbischen System Unterkategorie unsäglicher Zorn weiterverarbeitet wird: Morgen in der Früh sollten die frischgebackenen Großeltern von weither auf ein Frühstück vorbeikommen. Der Mann hätte aber schon alles eingekauft, keine Sorge…………

BÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄM!!

Ich werde zur Furie. Einer postpartalen, beschissenen Kopie meiner Selbst. Heute ist Tag Drei. Die Brüste machen das erste Mal im Leben ohne Push-up eine super Figur. Nur die harten roten Stellen, die Milch, die heraus läuft und die verdammten Schmerzen unterscheiden mich wohl von den vollbusigen Beautys aus Hollywood. Mein Gemütszustand lässt sich mit kacke bis extrem kacke beschreiben.

Liebe Familie, ich habe das allergrößte Verständnis für die so große Freude über dieses so kleine Ding. Glaubt mir, ich bin auch wirklich froh, dass es endlich draußen ist. Diese Schmerzen wünschte ich keinem meiner ärgsten Feinde. Ich verzeihe diesem kleinen Geschöpf, dass ich auch nach Tagen kaum sitzen kann. Nur mal nebenbei – wer zur Hölle behauptet eigentlich vehement, so ne Spontangeburt hätte den Vorteil der absoluten Schmerzfreiheit hinterher?! Und die blutenden Brustwarzen? Ich nehme alles mehr oder weniger mit Würde hin. Wenn man mein Fluchen beim Hinsetzen und zu jedem Stillbeginn nicht mitzählt.

Wie gesagt, ich freue mich also wirklich, dass unser Baby nun bei uns ist. Ich habe fast das Gefühl, es schon ewig zu kennen. Und der erste Atemzug dieses Winzlings erfüllte mein Herz direkt mit einer bedingungslosen Mutterliebe……

… NOT!!

Liebe Familie, seht her! Ich sitze hier wie ein kleines Häufchen Elend. Wie von einem Lkw überfahren, hänge ich in meinen schlabbrigen Umstandshosen rum. Ich habe versucht (relativ erfolglos), mich etwas aufzuhübschen. Meine Laune ist einfach nur zum Kotzen. Klar, dieser neue Mensch da in der Wiege ist wunderbar. Aber alles, was ich will, ist essen und schlafen. Und dass meine Hebamme morgen das erste Mal vorbeikommt und es irgendwie schafft, mich vom Fußboden aufzukratzen.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann wünschte ich mir… nichts! Einfach nichts und niemanden. Bloß keinen Besuch. Oder nur den, der die Wohnung nicht betritt. Der durch einen kleinen Türspalt vorsichtig selbstgemachte Lasagne reinschiebt und viel Schokolade. Am besten jemand, der schon den ganzen Wocheneinkauf erledigt hat. Mit ganz vielen Fertigprodukten. Denn auf diesem neuen Planeten scheint es erst mal keine Einkaufsmöglichkeiten mehr zu geben. Die vielen Strampler und Kuscheltiere fürs Baby würde ich gerne eintauschen in Essen und Trinken für mich. Oder in einen nicht kneifenden Still-BH. In Botengänge und einer Kuchenflatrate für die nächsten paar Wochen. Und – vermutlich das wichtigste: Jemand, der sich einfach nur für mich interessiert. Der mir über die Wange streicht (gerne auch virtuell über Whatsapp) und sagt: „Hey, das hast du einfach mal verdammt gut gemacht!“

Liebe Familie, ich habe Verständnis. Aber eben auch irgendwie nicht. Kommt schon, ihr habt noch so viele Jahre Zeit für eure Liebesbekundungen! Es wird noch sehr viele Momente geben, in denen ich euch sehnlichst herbei wünsche.

Und auf diesem Wege möchte ich mich auch noch in aller Förmlichkeit bei Aline, einer meiner ältesten Freundinnen entschuldigen. [Anm.d.Red.: Name nicht geändert. Denn auch heute tut es mir noch sacke leid, dass ich nur wenige Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes mit meinem damals neuen Freund zu Besuch kam. Für viele Stunden! Um dort Kaffee zu trinken! Ohne Kuchen mitzubringen! Sondern nur ein Kuscheltier und einen Strampler mit im Gepäck. Ich glaube, sie hat mir verziehen, zumindest sind wir heute noch gut befreundet. Ein Glück.]