Es ist Dezember. Hinter uns allen liegt ein völlig absurdes Jahr. Als wäre jemand im Februar plötzlich aufgetaucht und hätte unsere komplette Welt verrückt. Egal, wie alt wir waren, was für Berufe wir ausübten, welche Talente wir hatten oder welche Ängste uns nachts wach hielten. Diese Welle traf jeden von uns mit einer unvorhersehbaren Wucht. Mit einer unglaublichen Kraft hat sie alles weggeschwemmt, gewaltsam weggerissen, was uns vielleicht jahrzehntelang den Blick versperrt hat auf die Wirklichkeit. Auf Missstände und Ungerechtigkeit. Aber vielleicht auch auf verborgene Chancen.

In meiner eigenen kleinen Welt hat die Coronakrise auf sehr schmerzliche Art und Weise gezeigt, unter was für einer Doppelbelastung ich als Mama leide. Und schon lange litt. Bis dahin dachte ich wirklich, wenn ich mich nur richtig gut organisierte, wenn ich alles gäbe und noch ein wenig mehr zurücksteckte, dann würde ich das schaffen. Gut erzogene und glückliche Kinder, Erfolg im Job, eine halbwegs saubere Wohnung, einigermaßen gesundes Essen und nicht all zu viel Medienzeit. Perfekt musste es ja gar nicht sein, aber irgendwie okay. Ich würde es sicher auch schaffen, eine etwas geduldigere Partnerin zu werden und eine Mama, auf die meine Kinder stolz sein könnten. In meinem Kopf schien das ein wahnsinniger Kraftakt zu werden, aber doch irgendwie machbar. Wenn ich mich nur anstrenge. Sollte es nicht klappen, müsste ich mich eben noch ein wenig mehr anstrengen. Es wird ja auch wieder leichter, sobald die Kinder größer sind. Dachte ich.
Und ich funktionierte und funktionierte und funktionierte. Im Februar 2020 lief ich wohl schon seit langer Zeit nur noch über mein internes Notstromaggregat. Der Preis für diesen Dauerbetrieb waren körperliche Erschöpfung und chronische Schmerzen. Allein die Aussicht auf den nahenden Frühling ließ mich weiter die Zähne zusammenbeißen. Nur noch ein bisschen durchhalten, dann ist es geschafft. Dann wird alles leichter. Auch das dachte ich.

Und dann erwischte mich diese Corona Welle und warf mich buchstäblich zu Boden

Ich konnte nicht mehr all das abfangen, was auf mich hereinprasselte. Und ehrlich gesagt konnte ich es auch vor Corona nicht. Nur gestand ich mir das früher nicht ein. Bis dahin gelang es mir stets, mich noch irgendwie durchzumogeln. Indem ich mit mühsam aufgesetzter Coolness täglich meinen ausgebrannten Körper und Geist auf Betriebstemperatur abkühlte. Anfang diesen Jahres war dann aber kein Raum mehr da für Coolness, für Leidensfähigkeit, für Durchhaltevermögen oder Zuversicht auf bessere Zeiten. Irgendwann war noch nicht einmal mehr Raum zu jammern.

Wir Mütter schaffen das nicht, was uns da über die letzten Jahre aufgebrummt wurde. Ich beabsichtige auch gar keine „Früher war alles besser oder schlimmer“ Diskussionen anzuregen. Nein, wir arbeiten in der Regel heute nicht mehr von Sonnenauf- bis -untergang auf dem Feld. Und im Krieg waren wir auch nicht. Wie Krieg fühlte es sich aber durchaus an, mit kleinen Kindern über Monate hinweg zu Hause zu sein, die Größeren zu beschulen, die Kleineren zu bespaßen, alle zu bekochen und währendessen die Erwerbstätigkeit und die Care-Arbeit zu erledigen. Krieg, weil es einem Schlachtfeld der Bedürfnisse ähnelte. Und meines wurde nicht nur hintenangestellt wie all die Jahre zuvor, es wurde plötzlich überhaupt nicht mehr befriedigt. Natürlich traf es auch die Väter. Auch die rotierten und lernten, wie sehr ein Spagat zieht und schmerzt.
Bei mir gab es allerdings Tage, da gönnte ich mir noch nicht einmal mehr tief durchzuatmen. Immer alles schnell, immer überall gleichzeitig. Und ich bekam durch dieses permanente flache Atmen sogar körperliche Schmerzen in der Rippengegend. Das ist wirklich absurd.

Ich will dieses Jahr nicht mit Lamentieren beenden. Denn obgleich zahlreicher Ungerechtigkeiten – und diese betreffen auch noch viele andere Gesellschaftsschichten oder Berufssparten – hat mich das Jahr 2020 etwas gelehrt. Wenn auch mit viel Schmerz verbunden, aber manchmal brauchen wir vielleicht auch einen mittelschweren Tritt in unsere schönen Hintern. 2020 bedeutete für mich auch:

Corona-Lektion 1: Grenzerfahrung. Und was mache ich jetzt daraus?

Ich habe meine Grenzen erfahren. Ich habe festgestellt, dass es irgendwann kein Zusammenreißen mehr gibt. Diese Erkenntnis tat unglaublich weh und es brauchte Monate, um überhaupt wieder einigermaßen auf Notstrom zu laufen. Aber diese Umstände haben mir eins klargemacht: Ich möchte diesen Zustand nie wieder erreichen! Ich kann auf Reserve gehen, manchmal im Leben ist das unvermeidbar, aber mein neues 2020-Ich hält so bald es nur irgendwie geht inne und lädt wieder auf. Und Ballast ab. Zumindest für einen kleinen Moment, komme, was wolle. Und ja, es kommt dann mal vor, dass an diesem einen besagten Tag den ganzen Nachmittag am Stück die Glotze läuft – und ich meine wirklich den ganzen Nachmittag. Nicht nur die social-media-korrekte „Ach ja, manchmal dürfen meine Kinder auch mal einen ganzen Film schauen“-Antwort. Ich meine Stunden. Denn an diesem Tag ist das dann so. Meine Kinder werden dann die tollste Mama auf der gaaaanzen Welt haben und sicherlich kein ernstzunehmendes Trauma davontragen. Für mich kann so ein Nachmittag aber das Ja zu mir selbst sein und eine große Portion Akku für all diese anderen Tage, an denen wir nachmittags draußen sind, wo wir gemeinsam lesen, spielen und toben.

„Help! I need somebody…“

Dank Corona habe ich festgestellt, dass dieses Leben, das ich lebe, nicht funktioniert. Ich kann mich entweder damit abfinden, alles nur halb gut zu machen – und dazu gehören neben Haushalt & Co auch die elementaren Dinge wie Kindererziehung oder Job. Oder ich konzentriere mich auf das für mich Wesentliche und lasse anderes sein. Ich zum Beispiel habe zum ersten Mal in meinem Leben regelmäßig eine Putzhilfe engagiert. Desöfteren habe ich das die letzten Jahre schon begonnen, um dann immer wieder damit aufzuhören, weil ich dachte, wir könnten uns das nicht so recht leisten. Oder ich war schlichtweg zu geizig. Das müsste ich doch auch so hinkriegen.
Nein, muss ich nicht. Natürlich ist das eine Art Luxus, wir fahren dafür in keine schicken Familienhotels, sondern zum Campen. Und ich arbeite dafür mehr an anderer Front. Für mein Gewissen: Mit kleinen Kindern bleibt auch trotz Putzfee immer noch genug da zu putzen.
Außerdem lasse ich mir nicht nur beim Putzen der Wohnung helfen, sondern auch beim Aufräumen in Hirn und Herz. Denn ich gehe seit einiger Zeit zu einer wunderbaren Therapeutin, die mich regelmäßig daran erinnert, tief durchzuatmen. Bei der ich 50 Minuten am Stück alleine auf einem Sofa sitzen kann. Reden, schweigen, lachen, weinen. Allein. Ein Traum, meine Damen!

Wir rücken zusammen

Tiefe Freundschaften sind so feste Fundamente, die schwächt auch so ein Virus nicht. Mitunter fällt es mir schwer, meinen Lieblingsmenschen derzeit nicht auch körperlich so nah sein zu können wie gewohnt, sondern uns gemeinsam zum Weintrinken über Skype zu verabreden. Aber so etwas bringt uns nicht auseinander. Und all das, was daran zerbricht, wäre ohnehin kaputt gegangen. Krisen lehren uns immer, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und manchmal tut es gut, in seinem Beziehungsgeflecht ein bisschen aufzuräumen. Wer tut mir gut und wer nicht. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass ich als Mama bisher auch nicht jeden Abend mit 20 Leuten in irgendeiner coolen Bar abhing oder die Wochenenden in Wellness-Hotels verbrachte.

Mental Load – wir müssen uns selbst und die Väter befreien!

Wenn es etwas gibt, das diesen Mental Load von uns Müttern verstärkt hat, dann war es ganz sicher die Coronakrise. Wir Frauen waren sofort zur Stelle mit riesigen Rettungsschirmen, geschneidert aus unseren letzten Kraftreserven. Wir übernahmen das, weil wir mussten und weil wir es wollten. Wie hätten wir im März auch hinstehen und sagen können: „Nö, wir passen jetzt nicht auf den Zweijährigen auf, wir müssen arbeiten“ oder „Äh nein, wir beschulen jetzt nicht das Schulkind, wir wählen uns jetzt in die Telko ein“. Man hörte uns lediglich leise fragen „Wie sollen wir das nur schaffen?“ oder den Partner anranzen „Verdammte Axt, ich pack das nicht!“. Nun bin ich mit einem Mann gesegnet, für den die Familienarbeit kein Fremdwort ist. Der mit einem Selbstverständnis mit anpackt ohne aufzurechnen. Möglicherweise ein Luxus. Zumal ich hier mit tiefsten Mitgefühl auch an all die alleinerziehenden Mütter oder Väter denke.
Aber zurück zu meinem tatkräftigen Mann. Er ist ebenfalls Gefangener in einem System. Die Männerbande im Zoom-Meeting wartete nämlich schon ungeduldig auf ihn. Die Kollegen, deren Frauen sich um die Kinder kümmerten, während die Home-Office-Väter sich den wirklich wichtigen Dingen widmeten. Mein Mann war täglich zerrissen. Ich war es auch. Und mit uns Eltern auch unsere Kinder.
Diese Missstände in den Familien sind schon lange unser Alltag. Corona hat das vermeintlich coole Lächeln mitsamt jeglicher Leidensfähigkeit weggeschwemmt. Sichtbar wurden plötzlich all die Notlagen. Mental Load ist eine dieser Notlagen und meiner Meinung nach nicht oder nur zu einem geringen Teil im kleinen Familiensystem zu lösen. Natürlich können wir den Partner an den Küchentisch zitieren. Bestenfalls ist er sogar motiviert. Wir können Pläne machen, Aufgaben verteilen und dann zu gegebener Zeit nochmals an Aufgaben erinnern. 😉 Aber das ist doch nicht weniger Mental Load! So lange die Männerbande da auf dem Bildschirm in ihren virtuellen Arbeitszimmern sitzt und ungeduldig auf den Vater mit den kleinen Kindern wartet, wird es schwer werden. Verdammt schwer. Ehrlich gesagt, sehe ich auch nur einen Ausweg aus diesem Dilemma:

Bildet Banden!

Und damit meine ich sowohl Mütter als auch Väter.
Mütter müssen laut werden und auch unbequem. Wir leben noch immer in einer Gesellschaft mit patriarchalem Fundament. Unsere Häuser darauf zu bauen, wäre absoluter Quatsch. Neue Grundsteine können wir jedoch nur legen, wenn wir klar unsere Bedürfnisse äußern. Und dies immer und immer wieder. Manchmal werden die von uns geforderten Selbstverständlichkeiten uns schon selbst aus den Ohren raushängen, aber genau dann müssen wir weitermachen. Wir werden Menschen damit auf den Sack gehen, genervtes Augenverdrehen oder abwertendes Lächeln ernten. Aber das darf uns egal sein. All die Rechte, die wir Frauen mittlerweile haben und jegliche Grundlage für Gleichberechtigung kommt einzig und allein von uns Frauen. Da war kein weiser alter Mann, der gesagt hat „Mensch, das ist aber doch super ungerecht. Komm, ich geb dir ein paar von meinen Rechten ab.“
Und auch die Väter brauchen Banden. Gleichgesinnte mit denselben Herausforderungen. Vermutlich ist dies nicht der Papa von drei Kindern, dessen Jüngstes gerade aufs Gymnasium gekommen ist. Denn hier ist das Zeitfenster für das Verständnis oft leider schon wieder geschlossen. Ziel sollte es sein, es dauerhaft in der Gesellschaft offen zu halten. Vielleicht ist da der Papa aus der Nachbarabteilung. Der, der dir morgens immer mit tiefen Augenringen und heimlichen Rotzflecken am Hemdsärmel auf dem Flur begegnet. Gemeinsamer Austausch macht stark! Und die Stärke brauchen sowohl Mütter als auch Väter, um selbstbewusst Bedürfnisse und Nöte zu kommunizieren. Ich lehne mich hier sehr weit aus dem Fenster, aber möglicherweise findet die Stimme des Vaters von kleinen Kindern ja mehr Gehör in der Gesellschaft als die Stimme der Mama… Also kommt mit ins Boot, ihr Väter! Für euch ist das doch auch eine kräftezehrende Situation.

Gerade für die steilen Berge brauchen wir jemanden für den Vorstieg

Natürlich dürfen wir beim Arbeitgeber Gleichberechtigung fordern und auch in unserem eigenen Familiensystem. Ganz sicher werden wir jedoch nicht über Nacht die Gehirne unserer Gesellschaft waschen können. Aber wir können einen Schritt nach dem anderen tun. Und jeder einzelne bringt uns ein Stück näher ans Ziel. Vielleicht wird unsere Generation manches, was wir uns wünschen oder als gerecht betrachten, nicht vollumfänglich erreichen, aber wir können den so wichtigen Vorstieg machen. Von großer Bedeutung ist es, ein Vorbild für unsere Töchter und unsere Söhne zu sein.
Als ich damals mit Kind eins und zwei in Elternzeit war, habe ich täglich ohne auch nur im Ansatz darüber nachzudenken, gesagt, dass der Papa bei der Arbeit sei. Oder dass der Papa gleich von der Arbeit käme. Oder dass der Papa morgen frei habe. Nicht im Geringsten habe ich diese Sätze hinterfragt. Irgendwann belauschte ich die Große einmal im Spiel, wie sie zu ihrem Puppenbaby sagte „Der Papa geht ganz viel arbeiten, aber die Mama hat immer frei und bleibt bei uns.“ Erst war ich bockig wie ein Dreijähriges und setzte gerade dazu an, mich vor einer 40 cm großen BABYborn-Puppe zu rechtfertigen. Am liebsten wollte ich mich in einem See aus Selbstmitleid und Spirituosen baden. „Niemand sieht, was ich alles mache. Es ist so gemein. Ich kündige.“ *Abgang mit wehendem Haar*.
Ich habe nicht gekündigt. Vielmehr trichterte ich dem dritten Kind von klein auf ein: Papa ist im Büro. Oder Papa muss morgen nichts ins Büro. Punkt. Es mag nur eine Kleinigkeit sein, aber ich glaube, dies macht etwas mit den Kindern und auch mit unserem Selbstbild. Was wiederum Kraft gibt für neue Herausforderungen. Und es werden noch so einige kommen.

Corona als Chance? Klingt komisch, is‘ aber so

Corona ist eine blöde Tattwurst! Um es mal in den Worten meines Jüngsten zu sagen. Da gibt es auch nichts schön zu reden. Und es ist verdammt real, lieber Quentin Querdenker. Nachdem ich nun aber elf Monate lang nur geschimpft habe, möchte ich dieses Jahr abrunden, indem ich diese blöde Tattwurst als Chance für mich sehe.

Denn nur nebenbei bemerkt, ich finde es ziemlich cool, dass…

der Mann seit diesem Jahr nun auch ab und an morgens die extrem gutgelaunten kleinen Menschen in Kindergarten & Co bringen kann. Es ist mir jeden Tag eine Freude, auch diese wertvollen Stunden mit ihm zu teilen.

… das Home-Office ein großes Akzeptanz-Upgrade erlebt hat. Wegezeiten entfallen und ich als Teilzeitmama kann dem Kindsvater nun schon früher, die entspannten Zöglinge übergeben zum gemeinsamen Basteln, Backen oder Balancieren auf den Drahtseilnerven.

… ich wohl meinen Terminkalender irgendwo verlegt und es lange Zeit gar nicht bemerkt habe. Weil wir einfach keine Termine haben, die über Job, Schule, Kindergarten und Krippe hinausgehen. Möglicherweise feiere ich auch die Tatsache sehr, auf keine Weihnachtsfeiern gehen zu müssen oder Wohltätigkeitsplätzchen für andere Menschen zu backen. Also zweimal zu backen, weil die ersten Versuche bei mir in der Regel nicht Design-konform sind. Es ist nicht alles schlecht.

Neues Jahr. Neues Glück.

Tatsächlich freue ich mich dieses Jahr aber extrem auf Silvester. Ein Fest, das ich eigentlich hasse. Man muss lang aufbleiben (kann ich nicht), auf Kommando lustig und/oder gerührt-feierlich sein (mag ich nicht) und wenn es gerade schön und gemütlich wird, muss man raus in die Kälte (kapier ich nicht). Dieses Jahr aber werde ich es einfach mal so richtig feiern. Hier mit unserer Bande. Es gibt Fernsehen ohne Ende, ein Abendessen aus Süßkram & Chips und der Mann und ich werden mit Pauken und Trompeten das Jahr 2020 verabschieden, so circa um 22 Uhr.
Und ich sag euch eins: 2021 wird besser!! Wer bitte nennt sich schon 2020? Ist doch klar, dass das nix werden kann.

Alles alles Liebe für euch, ihr Heldinnen und Helden! Wir machen alle einen großartigen Job!